Liebe Schwestern und Brüder,
in diesen Tagen hat Papst Franziskus die Enzyklika „Lumen Fidei“ (Das Licht des Glaubens) veröffentlicht, die schon Papst Franziskus selbst als eine „Arbeit von vier Händen“ bezeichnet. Papst Benedikt XVI. hat nämlich maßgeblich an dieser Enzyklika gearbeitet, die gleichsam als Abschluss der Dreiheit von Glaube – Hoffnung – Liebe zu sehen ist. Denn Papst Benedikt hat in den beiden vorausgehenden Enzykliken die göttlichen Tugenden Liebe (Deus caritas“, 2005) und Hoffnung (Spe salvi, 2007) behandelt. Jetzt schließt das Thema Glaube diese Trilogie ab. Hierin wird nicht nur die Kontinuität der Theologie beider Päpste sichtbar, sondern auch die Bedeutung, die der Glaube für uns aufgeklärte Menschen des 21. Jahrhunderts hat.
Man mag ja achselzuckend hinnehmen, dass der heilige Kilian und seine Gefährten im 7. Jahrhundert ihre Heimat Irland verlassen haben, um uns hier den Glauben zu verkünden. Der Überlieferung nach (passio minor) war es dieser Satz aus dem Lukasevangelium (9,23): „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Aber gilt das auch für heute?
Papst Benedikt hat sich immer darum bemüht darzulegen, dass Glaube und Wissen, Glaube und Wissenschaft, keine Gegensätze sind. Im Gegenteil: Beide ergänzen sich wie die zwei Seiten einer Medaille.
Papst Franziskus knüpft deutlich an das große Anliegen seines Vorgängers an, die Vernunft des Glaubens in der Auseinandersetzung mit dem autonomen Menschen der modernen Welt zu begründen, denn diese möchte den Glauben nur noch für die Bereiche zulassen, in denen die menschliche Vernunft nicht ausreicht. Papst Franziskus hält dagegen: „Das Licht des Glaubens besitzt … eine ganz besondere Eigenart, da es fähig ist, das gesamte Sein des Menschen zu erleuchten.“(LF 4) Er beschreibt den Glauben als ein Licht, das wiederentdeckt werden muss. Wörtlich schreibt er: „Der Glaube keimt in der Begegnung mit dem lebendigen Gott auf, der uns ruft und uns seine Liebe offenbart, eine Liebe, die uns zuvorkommt und auf die wir uns stützen können, um gefestigt zu sein und unser Leben aufzubauen.“ (LF 4) Gerade in diesem Jahr des Glaubens, das Benedikt XVI. ausgerufen habe, helfe uns diese Zeit der Gnade „die große Freude im Glauben zu spüren und die Weite der Horizonte, die der Glaube erschließt, wieder kraftvoll wahrzunehmen.“ (LF5) Er verweist dann auf das Zweite Vatikanische Konzil, das „ein Konzil über den Glauben war“ (LF6). und fährt fort: „Das Zweite Vatikanische Konzil hat den Glauben innerhalb der menschlichen Erfahrung erstrahlen lassen und ist so die Wege des heutigen Menschen gegangen. Auf diese Weise ist sichtbar geworden, wie der Glaube das menschliche Leben in allen seinen Dimensionen bereichert.“ (LF 6)
Liebe Schwestern und Brüder,
unser Leitsatz für dieses Jahr – und erst recht für diese Kiliani-Wallfahrtswoche – lautet: „Dein Angesicht, Herr, will ich suchen“ (Ps 27,8). Dieser von Julius Kardinal Döpfner in seiner letzten Rundfunkansprache kurz vor seinem Tod gewählte Psalmvers ist wie sein geistliches Vermächtnis. Er verweist schon auf die Kulmination der menschlichen Gottessuche in dem Mensch gewordenen Gott Jesus Christus. In ihm wird das Angesicht des unsichtbaren Gottes sichtbar – auch ein Gedanke, der in dieser neuen Enzyklika eingehend behandelt wird. Gerade bei dem heutigen gesellschaftlichen Wandel, in dem die bisherigen Werte zu verschwinden drohen, ist es wichtig zu erkennen, dass sich – wie Professor Schockenhoff im Zusammenhang mit dem Naturrecht formulierte – „naturrechtliche Aussagen … in einem ‚Vorfeld’ bewegen, das über sich hinaus auf die ‚Fülle des Lebensgrundes’ verweist, von dem die biblische Offenbarung Zeugnis ablegt.“ (Schockenhoff: Die ethischen Grundlagen des Rechts. In: Kirche und Gesellschaft, Nr. 349,3) Und er fährt fort: „Deshalb bildet das Naturrecht die unerlässliche Basis einer internationalen Menschenrechtspolitik, aber es ersetzt nicht die religiösen Sinnentwürfe der Weltreligionen und die hochethischen Traditionen der Menschheit.“ (Ebd. 8)
Wir, die wir ein Leben lang auf der Suche nach Gottes Angesicht sind, finden für die Problemlösung vieler zeitgemäßer Fragen die Antwort in der Person Jesu Christi.
Von ihm leiten wir das christliche Menschenbild ab. Gerade vor dem Hintergrund aktueller Probleme dürfen wir festhalten: Jeder Mensch hat seine Würde aus der Gottebenbildlichkeit. Er ist einmalig und in seiner Würde unantastbar. Mann und Frau sind gleichwertig. Im Nächsten begegne ich Christus.
Ausgefächert werden diese Aussagen etwa in der Soziallehre der Kirche. Ich erwähne nur:
Solidarität mit den Armen, Benachteiligten und Schwachen.
Das Eintreten für die Grundwerte, die da heißen: Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe.
Verantwortung für das Gemeinwohl.
Achtung der Menschenwürde.
Anerkennung des Wertes der Arbeit.
Schutz der Familie als gesellschaftliches Fundament.
Ehe gibt es nur zwischen Mann und Frau.
Achtung vor dem Leben – vom ersten Augenblick der Zeugung an bis zum letzten Atemzug.
Das sich uns stellende Problem besteht darin, dass sich innerhalb der Gesellschaft Wertvorstellungen nach eigenem Gutdünken bilden und verändern. Heute versucht man Werte aus der Rationalität und Logik herzuleiten. Der geradezu an Naivität grenzende Glaube an die Neutralität und den Segen der Wissenschaft wird als der Königsweg zum Glück angesehen. Wissenschaftliche Vernunft kann aber keine ethischen und sozialen Werte schaffen. „Der Frage der Naturwissenschaften ‚was ist der Mensch’ stellen die Geisteswissenschaften die Frage gegenüber ‚wer ist der Mensch’. (Schockenhoff: Die ethischen Grundlagen des Rechts. A.a.O.,8) Ethische Werte können nicht allein mit einer vermeintlich einsichtigen Logik oder einer vermeintlich wissenschaftlichen Rationalität gefunden und begründet werden. So sind die uns im jüdisch/christlichen Glauben vorgegebenen und erprobten Werte Grundlagen, auf denen die Menschheit eine tragfähige gemeinsame Zukunft gestalten kann. Jenseits diktatorischer und auch demokratisch – per Abstimmungen – veränderbarer Rechtsgrundlagen ist hier ein Wertefundament der Verfügbarkeit menschlichen Zugriffes entzogen und damit beständig.
Als Christen müssen wir einem Zeitgeist wehren, der Waren vor Werten rangieren lässt. Wir dürfen, ja müssen uns in eine Gesellschaft einbringen, die möglicherweise ihr eigenen Grundlagen zerstört, aus denen Frieden und Prosperität erwachsen sind. Gerade innerhalb der heutigen Entwicklung, die sich aus der Globalisierung und dem technischen Fortschritt, der Individualisierung und dem demographischen Wandel ergibt, sind wir Christen aus unserer Grundhaltung heraus aufgerufen, nicht gegen die anderen, sondern mit den anderen die gegenwärtigen Risiken und Fehlentwicklungen zu bewältigen.
Nehmen wir unsere Berufung als Christen wahr, die christlichen Werte in einer Gesellschaft zu vertreten, die ohne diese nicht entstanden wäre und ohne die sie keine Chance hat zu überleben. Wie heißt es in der Bergpredigt? „Freut euch und jubelt. Euer Lohn im Himmel wird groß sein.“ Amen.