Liebe Schwestern, liebe Brüder!
„Passen Sie auf! Die Madonna auf dem Turm der Marienkapelle bewegt sich!“ - In einer stürmischen Nacht erhielt ich vor einigen Wochen einen Anruf von der Polizei. Ein aufmerksamer Beamter auf Streifenfahrt teilte mir das am Telefon mit. Ich konnte den Mann aber schnell beruhigen – die Befestigung der goldenen Marienstatue ist nämlich so konstruiert, dass sie sich je nach Windrichtung drehen kann. Aber der Satz ging mir nicht mehr aus dem Sinn: „Die Madonna bewegt sich!“ Denn darin steckt eigentlich schon das, was die Bedeutung der Gottesmutter ausmacht. Ihr Leben war in Bewegung! Mit drei Kunstwerken vom Beginn des 15. Jahrhunderts, die sich im südlichen Seitenschiff unserer Kirche befinden, möchte ich dies näher erschließen.
1. Maria ist in Bewegung – das macht schon die Figur der sogenannten „schönen Madonna“ deutlich. Ihr inniger Blick ist auf Jesus gerichtet. Durch ihn kam ihr Leben in Bewegung – anders als von ihr geplant. Aber sie ging auf den Plan Gottes ein und ermöglichte so sein Kommen in unsere Welt. Diese Offenheit beeindruckt mich immer wieder neu. Jeden Tag kommen viele Menschen, um vor dieser Marienstatue eine Kerze anzuzünden. Manche haben mir erzählt, dass sie dies in der Hoffnung tun, dass in ihr festgefahrenes Leben wieder neu Bewegung kommt, weil es durch Krankheiten, Konflikte oder Gewohnheiten gelähmt und blockiert ist. Auch ich frage mich oft: Wo müsste dein eigenes Leben wieder neu in Bewegung kommen, indem du Platz für Jesus schaffst? Jedenfalls macht mir dieses Marienbild immer wieder Mut, mein eigenes Leben offen zu halten – auf Gott und die Menschen hin.
2. Maria ist in Bewegung – ihre Entscheidung für Jesus war nichts Momentanes; als Mutter hat sie vielmehr seine Wege begleitet, auch wenn diese für sie mitunter unverständlich waren. Ja, diese Bereitschaft führte sie bis unter das Kreuz ihres Sohnes – dargestellt im Sandsteinrelief über dem Seitenaltar. In dieser Szene verdichtet sich etwas ganz Entscheidendes: Denn im Moment größter Einsamkeit, im Sterben, wo jeder auf sich selbst zurückgeworfen ist, stellt Jesus noch einmal Gemeinschaft her, indem er seine Mutter dem Freund anvertraut. Darin sehe ich den Hinweis, dass gerade im Tod Jesu Gemeinschaft nicht zerstört, sondern neu eröffnet wird. Gottes menschgewordene Liebe lässt sich auch in der äußersten Bedrohung nicht verdrängen. Zeichen dafür ist das Kreuz, das als Lebensbaum dargestellt ist. Vor diesem Bild frage ich mich: Wo bin ich vor dem Leiden anderer unbeweglich – wo müsste ich als Christ konsequenter – wie Maria – Wege mitgehen, damit sich auch in schwierigen Zeiten Gemeinschaft im Glauben bewähren kann?
3. Maria ist in Bewegung – aber diese Bewegung ist nicht etwas rein Innerweltliches, sondern führt über die Grenzen dieses Lebens hinaus. Dafür steht in dieser Kirche eine Darstellung des Marientodes, die es in sich hat: Sie zeigt hinter dem Sterbebett eine Christusfigur, die Maria in Gestalt eines gekrönten Kindes auf den Armen trägt. Das wirkt wie eine Umkehr der Verhältnisse: Einst hat Maria Jesus das Leben geschenkt und ihn getragen – nun schenkt ihr Jesus das neue Leben und trägt sie über die Grenze des Todes … Mir sagt dieses Bild: An Maria zeigt sich, was Gott aus den Menschen macht, die bei ihm mit-machen und sich auf ihn einlassen. Denn Maria ist keine Ausnahme, sondern die Vorwegnahme dessen, was mit uns allen einmal geschieht, wenn wir auf Gott und die Menschen hin in Bewegung bleiben: Unsere Zukunft ist gesichert, weil Jesus auf uns zukommt und uns ganz persönlich annimmt – jetzt und in der Stunde unseres Todes.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Unsere Marienkapelle ist seit mehr als zehn Jahren auch Ausgangs- und Mittelpunkt des „Fränkischen Marienwegs“, der fünfzig Marienkirchen in unserem Bistum miteinander verbindet. Dieses Wegenetz macht deutlich, dass unser ganzes Leben ein ständiges Unterwegssein darstellt – aber mit Maria als Wegbegleiterin dürfen wir sicher sein, dass diese Bewegung nicht ins Leere geht, sondern ans Ziel führt.
Amen.